Befreiung von der Revisionsstellenpflicht bei Errichtung einer Stiftung

Beitrag von Patrizia Gratwohl, Rechtsanwältin, M.A. HSG in Law

I. Einleitung

Das Bundesverwaltungsgericht (BVGer) hatte in seinem Grundsatzentscheid (Urteil des BVGer B-1546/2020 vom 28. Juni 2021, publiziert als BVGE 2021 IV/4) über die bis anhin umstrittene Fragen zu befinden, wann eine Stiftung ein Gesuch um Befreiung von der Revisionsstellenpflicht stellen kann. Vorliegender Beitrag erklärt die Hintergründe dieses Entscheids und zeigt auf, was dies für klassische Stiftungen bedeutet. 

II. Befreiung von der Pflicht zur Bezeichnung einer Revisionsstelle

A. Rechtliche Grundlagen

Bei klassischen Stiftungen hat das oberste Stiftungsorgan, in der Regel der Stiftungsrat, die Pflicht, eine Revisionsstelle zu bezeichnen (Art. 83b Abs. 1 ZGB). Dies im Gegensatz zu Familienstiftungen und kirchlichen Stiftungen, die von Gesetzes wegen von dieser Pflicht befreit sind.

Für die Befreiung von der Pflicht zur Bezeichnung einer Revisionsstelle ist vom obersten Stiftungsorgan bei der zuständigen Aufsichtsbehörde ein entsprechendes Gesuch zu stellen. Die von der Aufsichtsbehörde hierbei zu prüfenden Voraussetzungen sind in der Verordnung über die Revisionsstellenpflicht von Stiftungen (kurz: «Revisionsstellen-verordnung» bzw. «VO-RvS») normiert. 

Eine Befreiung von der Pflicht zur Bezeichnung einer Revisionsstelle ist unter folgenden, kumulativ zu erfüllenden Voraussetzungen möglich (Art. 83b Abs. 2 ZGB i.V.m. Art. 1 Abs. 1 VO-RvS):

  • (i) die Bilanzsumme der Stiftung ist in zwei aufeinander folgenden Geschäftsjahren kleiner als CHF 200’000.–;
  • (ii) die Stiftung ruft nicht öffentlich zu Spenden oder sonstigen Zuwendungen auf; und
  • (iii) die Revision ist für eine zuverlässige Beurteilung der Vermögens- und Ertragslage der Stiftung nicht notwendig.

B. Hintergründe des Entscheids 

Das BVGer urteilte in seinem Entscheid, dass eine klassische Stiftung ein Gesuch um Befreiung von der Revisionsstellenpflicht bereits im Zeitpunkt der Errichtung stellen kann. Dies entgegen der Auffassung der eidgenössischen Stiftungsaufsicht, welche verfügte, dass die Befreiung von der Revisionspflicht frühestens im dritten Geschäftsjahr erfolgen kann. 

Die eidgenössische Stiftungsaufsicht vertrat namentlich die Meinung, dass die Prüfung der ersten Voraussetzung gemäss Art. 1 Abs. 1 lit. a Revisionsstellenverordnung, der Bilanzsumme unter CHF 200’000.–, bedinge, dass die gesuchstellende Stiftung bereits während zwei ordentlichen Geschäftsjahren eine Geschäftstätigkeit entfalte und zwei revidierte Jahresabschlüsse vorlägen. Die beschwerdeführende Stiftung brachte hingegen vor, dass die Revisionsstellenverordnung keinen solchen Bericht voraussetze und an einer zweijährigen Wartezeit kein öffentliches Interesse bestehe.

Die Frage, ob ein Gesuch um Befreiung von der Revisionsstellenpflicht vor Ablauf von zwei Geschäftsjahren gestellt werden kann, wurde vor dem hier diskutierten Entscheid bislang gerichtlich nicht entschieden und war in der Lehre umstritten. Im Verfahren vor BVGer ging es daher insbesondere um die Auslegung von Art. 1 Abs. 1 lit. a Revisionsstellen-verordnung, und zwar nach dessen Wortlaut, Sinn und Zweck und den ihm zugrunde-liegenden Wertungen. Das Ergebnis dieser Auslegung lautet zusammengefasst wie folgt:

Gemäss BVGer spricht der Wortlaut von Art. 1 Abs. 1 lit. a Revisionsstellenverordnung dafür, dass für die Befreiung von der Revisionsstellenpflicht die tatsächliche Bilanzsumme von zwei aufeinanderfolgenden Geschäftsjahren bekannt sein muss, wie dies auch die eidgenössische Stiftungsaufsicht verlangte. 

Historisch waren Stiftungen bis zur Revision des Stiftungsrechts im Jahr 2006 nicht revisionsstellenpflichtig. Die Aufsicht erfolgte gestützt auf die von den Stiftungsorganen jährlich eingereichten Berichten und Rechnungen. Erst aufgrund einer parlamentarischen Initiative zur Liberalisierung des Stiftungsrechts, welche insbesondere die Privatisierung der Aufsicht anstrebte, wurde die Bezeichnung einer Revisionsstelle für klassische Stiftungen zur Pflicht. Für Stiftungen mit einfachen Strukturen oder bescheidenem Vermögen sollte jedoch gemäss gesetzgeberischem Willen weiterhin die Möglichkeit bestehen, von der Pflicht zur Bezeichnung einer Revisionsstelle befreit zu werden. Auf welchen Zeitpunkt dies möglich sein soll, lässt sich den Materialien indes nicht entnehmen.

Im Rahmen der geltungszeitlichen Auslegung stellte das BVGer auf die Handelsregister-verordnung ab. Gemäss dieser ist bei der Anmeldung beim Handelsregisteramt entweder die Revisionsstelle anzugeben oder die Befreiungsverfügung der Aufsichtsbehörde. Dies spricht gemäss Gericht dafür, dass die Befreiung von der Revisionsstellenpflicht schon vor der Anmeldung beim Handelsregisteramt resp. bereits mit der Errichtung der Stiftung möglich sein muss.

Auch die teleologische Auslegung, d.h. die Prüfung der Zweckvorstellung, die mit einer Rechtsnorm verbunden ist, führt zu keinem anderen Ergebnis. Mit Art. 1 Abs. 1 Revisionsstellenverordnung sollten kleinere Stiftungen von administrativen Lasten und übermässigen Revisionskosten befreit werden können. Hintergrund der Befreiung ist das bescheidene Vermögen und die damit einhergehende beschränkte Geschäftstätigkeit der Stiftung. Da die Aufsichtsbehörde die Befreiung von der Revisionsstellenpflicht zudem jederzeit widerrufen kann, wenn die entsprechenden Voraussetzungen nicht mehr erfüllt sind, wurde das aufsichtsrechtliche Risiko der Vorabgewährung der Befreiung von der Revisionsstellenpflicht als gering angesehen.

Das BVGer kam entsprechend zum Schluss, dass ein Gesuch um Befreiung von der Revisionsstellenpflicht im zu beurteilenden Fall bereits im Zeitpunkt der Errichtung der Stiftung gestellt werden kann.

C. Bedeutung des Entscheids für klassische Stiftungen

Ein Gesuch um Befreiung von der Revisionsstellenpflicht kann damit von einer klassischen Stiftung grundsätzlich bereits im Zeitpunkt der Errichtung gestellt werden. Bei neuen Stiftungen, die noch keine zwei revidierten Geschäftsjahre aufweisen können, hat die Aufsichtsbehörde bei Prüfung dieses Gesuchs wie folgt vorzugehen:

Eine Befreiung von der Revisionsstellenpflicht ist damit für Stiftungen mit einer Bilanzsumme von unter CHF 200’000.–, bei denen eine Revision für die zuverlässige Beurteilung der Vermögens- und Ertragslage nicht notwendig ist, bereits im Zeitpunkt der Errichtung möglich.